Bälleholen in Garßen
Das Bälleholen und die Heilige-Drei-Königsfeier
Ein alter Brauch in Garßen
Der alte Brauch des Bälleholens, der früher in der Südheide weit verbreitet war, wird heute nur noch in Garßen gefeiert. Vielerorts wurde dieses Fest im Frühjahr begangen, andernorts gehörte er zum Erntefest. Seit Jahrzehnten nun wird dieser Brauch in Garßen in der Zeit zum Fest der Heiligen Drei Könige im Januar gepflegt. In der Zeit, als noch nicht ein Fest das andere jagte, war das Ballholen ein großes Ereignis im Dorf. Schon wochenlang vorher lieferte es viel Gesprächsstoff. Nachweisbar ist er im Jahre 1888 in Garßen wiederbelebt worden, existierte somit schon viel früher. Hanna Fueß berichtet in einem Artikel in der Celleschen Zeitung vom 21. Januar 1936 darüber, wie das „Bälleholen„ so wieder richtig in Gang gebracht wurde. Die Bauernschaft war bis 1928, dann seit dem der Schützenverein Garßen e.V. von 1891 Brauchträger dieser Tradition. Aufgrund der Bereitschaft und des Einstehens für diese Tradition vieler Bewohner des Ortes und des großen Engagement von Vereinsmitgliedern des Schützenvereins Garßen e.V. von 1891 hat sich dieser Brauch bis heute mit Erfolg gehalten. Der Ortsrat Garßen sieht es als eine kulturhistorische Aufgabe, den Schützenverein in allen Belangen bei der Erhaltung und Pflege dieser Tradition Unterstützung zu gewähren.
Wenn man den Sinn des Ballholens verstehen will, muss man weit in die Vergangenheit zurückgehen. Obwohl in der heutigen Zeit der Winter viel von seinen Unannehmlichkeiten verloren hat, sehnen wir uns doch nach dem Frühling. Wie viel größer wird diese Sehnsucht in einer Zeit gewesen sein, als man gegen die Unbilden des Winters noch nicht so gerüstet war. Walter von der Vogelweide (1200 n. Chr.,) sagt:
Saehe ich die megde an der strâze den bal
werfen! so kaeme uns der vogele schal!
Frühling, Vogelsang und Ballspielen gehörten schon immer zusammen. Das Ballspiel im Frühling hat sich noch bis in unsere Zeit erhalten. Sobald der Winter scheidet, holen die Kinder ihre Bälle hervor; vor einigen Jahrzehnten hatte sich mancherorts die Sitte erhalten, dass am Karfreitage und ersten Ostertage die jungen Leute auf dem Dorfanger zum Ballspielen zusammenkamen, obwohl für jeden Jungen mit der Konfirmation die Zeit des Spielens vorbei war. Mit der Verheiratung scheidet das Mädchen aus dem Kreise der Jugend aus. Es tritt in die Schar der Frauen, das Spiel hat ein Ende. So steht der jungen Frau auch nicht mehr der Ball zu, und darum wird das junge Volk in alten Zeiten am ersten Frühlingstag den Ball von der jungen Frau geholt haben, woraus sich allmählich das Fest des Ballholens entwickelte.
Auch das die junge Frau ihren ehemaligen Gespielinnen Bälle in Nadelkissenform überreichte, ist sehr sinnvoll; für die junge Frau ist aus dem Spiel Arbeit geworden, und für die jungen Mädchen
wird früher oder später der Tag kommen, den alle ersehnen, an dem sie den Ball mit dem Nadelkissen tauschen. Der Ball, Symbol des Spielens, ist aus Stoff hergestellt, mit bunten Bändern
geschmückt und mit kleinen Püppchen, Schnuller, Babyfläschchen und anderem Zierrat behängt. Sie werden an Holzstielen getragen. Mit dem gefertigten Zierrat und den Bändern stellt die junge
Frau ihre Nähkunst unter Beweis. Der Mann beweist seinerseits sein handwerkliches Geschick, indem er einen Stiel an das Zierstück bastelt. Der Ernst des Lebens hat begonnen. Die Zeit des Spielens
ist vorbei.
Der Vorstand und drei Junggesellen des Schützenvereins organisieren schon ab Oktober heute das Bälleholen mit dem abendlichen Heiligen - Drei - Königs - Ball.
Am Neujahrstag bestellen die Junggesellen offiziell mit einigen unverheirateten Mädchen im Alter von 17 - 18 Jahren, den sogenannten Balljungfern bei jungvermählten Paaren die Bälle, d.h.
es wird fest abgesprochen, dass das junge Paar einen Ball gibt und es wird durch die Junggesellen die Balljungfer vorgestellt, die bei diesem Paar den Ball erhält und suchen muss.
Dabei geht es schon sehr fröhlich und lustig zu.
Früher bedeutete das „Bälle bestellen„ anzufragen, welcher Hof bereit sei, das nächste Gemeinschaftsfest auszurichten. Zu diesem Zweck wurde von allen beteiligten eine Spende eingesammelt.
Besonders die Jungverheirateten im Dorf mussten sich mit einem Lösegeld zur Finanzierung der Musikanten aus ihrem alten Kreis der Unverheirateten freikaufen. In Dörfern ohne Gasthaus wurde das
abendliche Fest mit Tanz in den Bauernhäusern gefeiert.
Am zweiten Samstag im Januar findet jetzt zur Zeit das Bälleholen mit der Heiligen-Drei-Königsfeier statt. Um die Mittagszeit treffen sich die Ballmädchen und die Junggesellen. Sie marschieren unter Begleitung einer Abordnung des Schützenvereins und deren Musikzügen zu den „Ballgebenden jungen Ehepaaren„. Dort eingetroffen hat die jeweilige Balljungfer ein überliefertes Gedicht vorzutragen.
Ballgedicht zum Bälleholen
Zur Zeit gängige Form des Ballgedichtes seit der Jahrhundertwende
Guten Tag, junge Frau und junger Herr,
wir kommen hier gegangen,
unseren Ball zu empfangen.
Wir wollen uns machen ein lustig Pläsier,
es soll uns nirgends dran fehlen hier.
Wir wollen schlachten zwei fette Schwein`,
ein polnischer Ochse soll auch dabei sein.
Wir würden noch viel tüchtiger lachen,
wenn uns die junge Frau eine Tasse Kaffee würde machen.
Und sie würde sich gar nicht schämen,
wenn sie den bestellten Ball nicht gäben,
sonst würden wir den Allerliebsten mitnehmen.
Und das würde doch eine harte Strafe für sie sein,
wenn sie nun sollte wieder schlafen allein.
Drum gebe sie, was wir verlangen,
damit wir keinen Streit anfangen.
Und habe ich meine Rede nicht recht gemacht,
so hoffe ich, dass ich nicht werde ausgelacht.
Denn gestern Abend, als ich wollte lernen und studieren,
kamen die jungen Herren und taten mich vexieren.
Da habe ich all mein Lernen und Studieren vergessen
und habe den ganzen Abend bei den jungen Herren gesessen.
Das junge Paar bittet nun die Balljungfern und die Junggesellen in das Haus. Die Suche nach dem Ball und nach dem bunt geschmückten Holzstiel beginnt. Dazu denken sich die jungen Paare immer wieder sehr originelle Verstecke aus, und dies ist immer wieder Anlass zur Berichterstattung in der örtlichen Presse. Hat die Balljungfer den versteckten Ball und den Holzstiel gefunden, wird er unter großer und lautstarker Freude der vor dem Hause wartenden Abordnung des Schützenvereins und den Musikzügen präsentiert.
Alsbald geht es dann weiter, denn es wartet schon das nächste junge Ehepaar, um die Balljungfer und die Junggesellen zu empfangen, damit der nächste Ball gesucht werden kann.
In der Regel werden jedes Jahr vier bis sechs Bälle gegeben und so vergeht der Nachmittag sehr schnell und man muss sich manchmal sehr beeilen, um noch vor Anbruch der Dunkelheit den Saal des Landgasthauses „Zum Lindenhof„ zu erreichen, wo schon die Kinder das Tanzbein schwingen und die Erwachsenen den Umzug ungeduldig erwarten.
Unter den Klängen der Musikzüge werden dann die Bälle unter der Saaldecke des Landgasthauses aufgehängt. Dies ergibt immer wieder ein farbenprächtiges und eindrucksvolles Bild. So ist der
erste Teil des Bälleholens beendet und alle Beteiligten erwarten mit Spannung den abendlichen Festball - die Heilige - Drei - Königsfeier.
Der Festball, beginnend um 21.00 Uhr, ist immer wieder ein toller Auftakt zu Beginn des Jahres. Tanz und tolle Musik mit einer Liveband, Stimmung und Spaß, Unterhaltung und Frohsinn - jeder kommt auf seine Kosten - jung und alt.
Um 22.00 Uhr erfolgen die Ehrentänze für die ballgebenden jungen Ehepaare und für die Balljungfern mit ihrem Tanzpartner. Nach einer persönlichen Vorstellung wird der besondere Dank an die
Ehepaare, Balljungfern und Junggesellen ausgesprochen. Dies erfolgt immer mit einem großen Hallo und viel Stimmung. Ein erster Höhepunkt des Abends.
Im gut gefüllten Saal geht es dann mit Tanz und Spaß unter den noch an der Saaldecke aufgehängten Bällen weiter. Die Musiker bringen die Gäste zum Siedepunkt, so dass zum Abtanzen der Bälle um
eine halbe Stunde nach Mitternacht die Stimmung auf dem Höhepunkt ist.
Dazu stellen sich alle Anwesenden im Kreis um die Tanzfläche auf. In der Mitte des Saales steht ein Tisch, auf den die Balljungfer mit einem Partner ihrer Wahl steigen muss. Mit einem Kuss auf
dem Tisch mit dem „Auserwählten„ lösen die Mädchen ihren Ball von den Junggesellen aus. Dies geschieht immer unter großem Getöse und Gejohle der Anwesenden und bringt eine unbeschreibliche
Stimmung - ein Mordsgaudi.
Nach dem Kuss bekommen die Mädchen den Ball übergeben, den sie dann mit nach Hause nehmen, wo er sorgsam verwahrt wird, um ihn als Jungverheiratete nach gleicher Sitte an ein junges Mädchen
weiterzugeben. So sind heute schon geschichtsträchtige Exemplare im Umlauf.
Inzwischen hat es sich eingebürgert, dass sowohl bei den neuen als auch bei den alten Bällen eine Schleife mit dem Namen des Ballgebers und des Ballnehmers angebracht wird. So lässt sich in
Zukunft die Historie der Bälle leichter verfolgen. Die Verantwortlichen des Schützenvereines sind dankbar für Hinweise aus der Bevölkerung über Bälle, die irgendwo auf dem Dachböden und Speichern
vor sich hin kümmern. Diese Bälle können jungen interessierten Paaren zur Weitergabe an ein junges Mädchen nach altem Brauch überlassen werden. Es bräuchte kein neuer Ball gefertigt werden und
die Bälle kämen dadurch wieder in Umlauf.
Aber zurück zum Kuss auf dem Tisch. Haben alle Mädels die Zeremonie hinter sich gebracht, erfolgt nochmals ein Ehrentanz für die Ballgeber und Ballmädchen mit dem „Auserwählten„ und dem übergebenem Ball. Kurz danach wird die Tanzfläche für alle freigegeben. Es ist immer wieder ein tolles und prächtiges Bild, wenn sich die farbenfrohen Bälle aus der Menge der tanzenden Paare abheben und sich im Takt der Musik mit bewegen.
Die tolle Stimmung nutzend, fordern die Musikanten noch mal alles - sich selbst und die Tanzpaare. Es geht noch einmal hoch her.
Weit nach Mitternacht neigt sich dann die Heilige - Drei - Königsfeier seinem Ende. Die Musik spielt die Abschiedsmelodie und einige noch nicht tanzmüde Paare fordern noch eine musikalisch Zugabe. Aber einmal ist Schluss, bis zum Bälleholen im nächsten Jahr.
Es ist jedes Jahr immer wieder besonders erfreulich, wenn junge Ehepaare bereit sind, einen Ball an ein junges Mädchen zu geben. Besonders ist aber auch die Bereitschaft der jungen Mädchen zu
werten, bei diesem alten Brauch mit zumachen und dabei zusein. Sie alle, die jungen Paare und Mädchen, sind die Garanten für das Weiterleben dieser Tradition. Zeigen sie doch besonders, dass auch
in unserer heutigen schnelllebigen Zeit, Brauchtum und Tradition noch einen gewissen Stellenwert haben.
Der Schützenverein Garßen e.V. von 1891 hat sich auch für die Zukunft das Ziel gesetzt, diesen wunderschönen alten Brauch zu erhalten. Er ist dabei natürlich auf die Unterstützung aller Bürger-/innen Garßens angewiesen. Dabei steht die Bereitschaft der Jugend natürlicherweise im Vordergrund. Sprechen sie uns an. Wir sind für jegliche Unterstützung dankbar.
Quellen: „Speicher„ Heimatbuch des Landkreises Celle von 1931
Chronik des Schützenvereins Garßen e. V. von 1891